Theorie in Ansätzen

Seelenkunde, Psychoanalyse…Anke S. Müller Morocutti, M.A.  |  PsychoAnalytischePraxis, Wien

Ihnen wird der Begriff der Hysterie bekannt sein, mit dem S. Freud vor mehr als 120 Jahren seine Erforschung und Behandlung des damals noch im Sinne eines mechanischen Weltbildes sogenannten psychischen Apparates begann.

Eine Methode, die in ihrer Einfachheit ihrer zweiseitigen Prämissen oder Grundregeln verblüfft: der/die Ratsuchende erzähle alles, was ihm/ihr durch den Kopf gehe ohne eine innere oder äußere Zensur walten zu lassen – diese seine /ihre Äußerungen werden von der „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ der Analytikerin aufgenommen, gehalten und transformiert in Worte, Deutungen, die zunächst in der Analytikerin Gestalt annehmen um zum richtigen Zeitpunkt, dem Kairos, der im antiken Griechenland bereits eine wichtige Rolle spielte, ausgesprochen zu werden.

Die Analyse ist eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die in einem professionellen Rahmen der/dem Ratsuchenden die Möglichkeit des „Erkenne dich Selbst“ eröffnen. Diese Suche nach dem „wahren Selbst“, wie Donald Winnicott es fasst, ist so alt wie die Menschheit. Die Wurzeln der westlichen Kultur, die sich aus den älteren Hochkulturen des Orients speist, zeigt uns über dem Eingang des Tempels von Delphi, der dem Sonnengottes Apollon geweiht war, der die matriachalen Göttinnen ablöste, in dessen Verehrung wir jedoch Einsprengsel der älteren Weisheit der als weiblich vorgestellten Gottheiten finden, ebendiese Inschrift: Erkenne dich selbst.

Wie trägt die Psychoanalyse zu dieser Selbsterkenntnis bei?

Für die skeptischen LeserInnen,

Sie haben gehört, dass wieder und wieder die alten Kindheitserlebnisse besprochen werden, dass nach dem ursprünglich auslösenden Element in Ihrer Biografie geforscht wird, dass für Ihre momentanen Lebensfragen gewissermaßen verantwortlich gemacht werden kann?

Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten, wie S. Freud eine seiner Schriften betitelte, versteht sich für mich folgendermaßen:

Im Laufe der Entwicklung erlebt das Individuum Gefühle, Gedanken und Beziehungen, die durch andere Gefühle und – innere und äußere – Beziehungen modifiziert werden, so dass neue und andersartige Erfahrungen entstehen. Aber in dieser Entwicklung tauchen gelegentlich unüberwindbare Hindernisse auf. Wenn dies der Fall ist, führt die Transformation emotionaler Erfahrungen nicht zu neuen und umfassenderen Integrationsprozessen, im Gegenteil: Die Transformationen, die nun stattfinden, tendieren in die Richtung der Fragmentierung und Desintegration, Sie fühlen sich nicht „eins mit sich selbst“, Sie funktionieren statt zu leben und neue Erfahrungen werden als Belastung statt als Bereicherung empfunden.

Sie stehen neben sich im Bewusstsein, es genau so nicht denken/tun zu wollen, doch das Psychische anerkennt das „Nicht“ nicht und Sie wiederholen, oft auch Ihnen selbst nicht bewusst, Momente Ihrer Leidensgeschichte oder auch derer früherer Generationen Ihres familiären Umfeldes.

Sandler und Sandler sprechen vom Gegenwartsunbewussten, das sich in der analytischen Situation, und auch in alltäglichen Begegnungen, zeigt.

Die Gründe einer solchen Leidenssituation sind mannigfaltig, aber das Fehlen eines rezeptiven, aufnehmenden Primärobjektes sowie Neid (s. Riesenberg-Malcolm in der Tradition M. Kleins) sind zwei der wichtigsten Faktoren.

Das erste, primäre Objekt bildet sich durch und im Kontakt mit der ersten, bedeutsamen Bezugsperson, der wir eine mütterliche Funktion zusprechen, die eng an die nährende Brust geknüpft ist. Diese Funktion, Stellung, Haltung ist jedoch auch metaphorisch zu verstehen in dem Sinne, dass die mütterliche oder auch Alpha- Funktion nach Bion, von einem Mann und Flaschennahrung ebenso eingenommen werden kann. Ziel ist es, die ambivalenten, chaotischen Gefühle und Körpersensationen des Babys in sich aufzunehmen und in für das Baby förderlicher Weise an dieses zurückzugeben; dies Funktion übernimmt in der psychoanalytischen Therapie die/der Analytiker_in.

Den eigenen Neid wertfrei anzuerkennen, ist ein Schritt auf dem Weg der Integration.

Das Baby hat die Bedürfnisse genährt, geschützt und in Ruhe gelassen zu werden im Wissen, dass, wenn sich Hunger und andere im Körperseelischen wurzelnde Bedürfnisse, Triebe in der analytischen Sprache, regen, diese umgehend befriedigt werden. Zeit und Raum existieren in rudimentären Ausprägungen. Warten kann mit der Bedeutung des Todes aufgeladen werden.

Ein besser integrierter und weiter fortgeschrittener Zustand des psychischen Funktionierens setzt ein Zusammenwirken von Umwelt und inneren Faktoren voraus, das die Transformation früherer Erfahrungen in die von Melanie Klein beschriebene „depressive Position“ erlaubt. Diese Transformation zieht realistischere Objektbeziehungen zu tendenziell eher ganzen Objekten nach sich und ist mit einem höheren Grad der Integration und der Fähigkeit, emotional aus Erfahrungen zu lernen, verbunden. Ihre Begegnungen mit Menschen verändern sich durch die analytische Arbeit.

Aus vielerlei Gründen wird die depressive Position mitunter erreicht, aber nicht bewältigt, so dass ein klinisches Bild entsteht, das als Persönlichkeits – oder Borderlinestörung bezeichnet wird. Diese Menschen flüchten sich in vielfältige Abwehrorganisationen (vgl. auch Anna Freud), die ihnen einerseits eine gewisse Funktionsfähigkeit ermöglichen, andererseits aber ein Ausmaß an Pathologie in sich bergen und häufig stützen, das sie und ihnen nahe Menschen teilweise lähmt. Diese Gefühle wiederholen sich in der „Szene“, d.i. im Gegenübertragung/Übertragungsgeschehen in seiner Gesamtheit (s.a. Betty Joseph) – und können in der besonderen, haltenden Bindung der Analyse durchgearbeitet und aufgelöst werden.

Dies gilt ebenso für  Triangulationsprozesse, die Öffnung der Diade, gewährleistet durch die väterliche Position (vgl. auch Lacan), hier die analytische Methode, das Setting, der zeitliche und räumliche Rahmen; diese werden verstärkt angestrebt. Hier finden Sie auch den Oedipuskomplex Freuds, den Neid und Eifersucht prägen, eine andere/ein anderer sein und eine andere/einen anderen haben wollen. Mich selbst in meinem SoSein anzunehmen ist ein Ziel im analytischen Prozess oder in Abwandlung S. Freuds: Transformieren Sie mit meiner Unterstützung die Neurose, das Leiden an sich selbst in dem einen oder andren Sinne, in das allgemeins Glück und dies nicht zu UnZeiten sondern jetzt. Eine Neurose ist unendlich kostspieliger  als eine Therapie.